Schon kurz nach sieben, Mist, verschlafen. Jetzt aber raus aus den Federn. Noch schnell in die Küche, die Kaffeemaschine einschalten. Dann ab ins Bad. Duschen, Föhnen, fertig machen für die Arbeit. Nicht nur Sophie ist gerade ganz schön in Aktion. Auch das Stromnetz läuft bereits auf Hochtouren. Denn im ganzen Land bereiten sich Menschen auf ihren Tag vor. Sie haben Wasserkocher, Toaster und Kaffeemaschinen eingeschaltet, hören nebenbei Radio, brauchen warmes Wasser zum Duschen, Föhnen sich die Haare und haben Licht in vielen Zimmern brennen. Währenddessen sind auch in Fabriken schon schwere Gerätschaften in Betrieb, erhellen hunderttausende Leuchten die noch dunklen Werkshallen. Das alltägliche erste Hoch beim Energieverbrauch lässt im ganzen Land die Leitungen heißlaufen.
Gut, dass Politik und Industrie vor einigen Jahren eine neue Technologie eingeführt haben, die den allmorgendlichen Peak glättet, das Stromnetz entlastet und sogar CO2 reduziert. Denn der Strom, den Sophie am Morgen verbraucht, kommt nun nicht mehr von einem etliche Kilometer weit entfernten Kraftwerk – sondern von Wind und Sonne erzeugt über einen kleinen Umweg direkt aus ihrer Tiefgarage. Dort steht ihr Elektroauto, das eine entscheidende Kleinigkeit mehr kann, als die Stromer des vorangegangenen Jahrzehnts: Es kann die Energie aus dem Akku, die komplett aus erneuerbarer Erzeugung stammt, auch wieder ans Stromnetz abgeben, wenn er dort dringend gebraucht wird.
Sophie hat sich vor allem aus zwei Gründen für ein Elektroauto entschieden, das die Vehicle-to-Grid (V2G) genannte Technologie beherrscht. Zum einen war ihr wichtig, die Energiewende zu beschleunigen und dabei mitzuhelfen, dass die Nutzung von erneuerbaren Energien effizienter wird. Jetzt lädt ihr Auto nachts Strom aus Windkraftanlagen, der zu dieser Zeit im Überfluss vorhanden ist, und stellt diese nachhaltig erzeugte Energie jeden Morgen zuverlässig wieder zur Verfügung.
Für Sophie ist das kleine Reichweitenminus kein Problem. Die zwei, drei Kilowattstunden Strom, die dem Akku in der Früh fehlen, spielen bei ihren 40 Kilometern in die Arbeit überhaupt keine Rolle. Außerdem kann sie auch dort ihr Auto wieder ans Stromnetz hängen. Und wenn die Batterie am Morgen doch einmal komplett vollgeladen sein soll, stellt sie das am Tag zuvor einfach in ihrer Smartphone-App ein.
Der zweite Grund für Sophies Entscheidung, sich einen Stromer zuzulegen, waren die finanziellen Anreize, die sich mit V2G ergeben. Nicht nur sind Elektroautos, dank der geringeren Komplexität sowie der niedrigen Service- und Betriebskosten, mittlerweile weit günstiger als Benziner und Diesel. Weil ihr Auto fast immer mit dem Stromnetz verbunden ist und wie ein kleines Kraftwerk Energie zur Verfügung stellt, etwa wenn kurzzeitige Lastspitzen geglättet werden müssen, verdient sie im Jahr im Schnitt sogar noch 650 Euro extra dazu. Das ist genug, um den Strom zu bezahlen, den sie für ihre 15.000 jährlich mit dem Auto zurückgelegten Kilometer braucht. Manchmal denkt Sophie, wenn sie mit ihrem Auto an einer Tankstelle vorbeikommt, mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht zurück an die Zeit, als sie noch einen Verbrenner hatte – und alle zwei Wochen 70 Euro für klimaschädliches Benzin ausgeben musste.
Während Sophie in der Arbeit angekommen am Computer sitzt, arbeitet ihr Fahrzeug ebenfalls. Es steht an einer Ladesäule angeschlossen auf dem Parkplatz und speichert auch hier erneuerbaren Strom zwischen, der tagsüber vor allem von der Sonne kommt. Am späten Vormittag wird diese Energie schon wieder woanders gebraucht: Dutzende Herdplatten in der Kantine treiben die Lastkurve des Gebäudes nach oben. Weil ihr Arbeitgeber das Gebäude mit einem intelligenten Last- und Energiemanagementsystem ausgestattet hat, muss dieser zusätzlich benötigte Strom nicht teuer beim Stromversorger eingekauft werden. Er kommt weitaus günstiger von direkt nebenan: aus den Akkus von Elektroautos der Mitarbeiter:innen.
Sophie ist nicht allein mit ihrem kleinen Kraftwerk auf vier Rädern: Fast fünf Millionen Elektroautos sind bereits auf deutschen Straßen unterwegs. Und jedes Jahr kommt mittlerweile eine weitere Million hinzu. Das von der Regierung vor fünf Jahren erklärte Ziel, bis zum Jahr 2030 zehn Millionen Elektroautos auf die Straßen zu bringen, rückt in greifbare Nähe. Ein gutes Signal für die CO2-Ziele. Dank der effizienteren Nutzung erneuerbarer Energien, zu der Elektroautos entscheidend beitragen, schreitet auch deren Ausbau zügig voran: Deutschland kann bis 2030 gut zwei Drittel seines kompletten Strombedarfs mit Ökostrom abdecken. Auch der Verkehrssektor, einst das große Sorgenkind beim CO2-Ausstoß, ist auf einem guten Weg: Allein dank der intelligenten Einbindung der zehn Millionen Elektroautos im Stromnetz erreicht er so bereits gut zwei Drittel seiner CO2-Reduktionsziele bis 2030. Und mit jeder weiteren Million steigen die Einsparungen weiter.
Zu Blackouts, im vorherigen Jahrzehnt noch oft als Schreckgespenst und beliebtes Argument gegen E-Autos verwendet, ist es trotz der vielen Elektroautos noch nicht gekommen. Im Gegenteil: Die Netze sind so stabil und zuverlässig wie selten zuvor, weil die Energie aus Auto-Akkus dank Lade- und Energiemanagementsystemen Lastspitzen und Engpässe im Stromnetz deutlich gezielter und schneller abfedern kann als andere Alternativen. Egal ob am Morgen, am Mittag oder am Abend.
Sophie stellt ihren Wecker etwas lauter, damit sie nicht wieder verschläft und den Morgen etwas entspannter angehen kann. Und hat beim Einschlafen wieder ein kleines Lächeln auf den Lippen. Weil sie beim Gedanken an ihr Auto, das in der Tiefgarage am Stecker hängt, kurz daran denken musste, dass ein Sprichwort bei ihr Realität geworden ist. Sie verdient Geld im Schlaf. Wer kann das schon von sich behaupten?